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Quereinstieg in den Lehrer*innenberuf - Ciao schöne Bildungswelt!

Neulich hat sich H.-P. Meidinger vom Lehrerverband über desolate Quereinsteiger-Praxis geäußert. 


Den italienischen Ausdruck Ciao kann man hier doppeldeutig verstehen. Zum einen benutzen wir das Wort Ciao umgangssprachlich gerne als Verabschiedung (Tschüss). Nach H.-P. Meidinger verabschieden wir uns durch den Einsatz und die teilweise mangelhafte Qualifizierung der Quereinsteiger*innen in seinem Sinne  von einem Land der Dichter und Denker, da zukünftige Schüler*innen demzufolge mit sich verschlechternder Qualität in Schule unterrichtet werden. 

Auf der anderen Seite benutzen Schweizer und Italiener das Wort Ciao auch zur Begrüßung. Für Quereinsteiger*innen sieht es genau so aus: sie kommen in eine neue Welt und begrüßen diese - und, wie ich erlebt habe, sehr positiv gestimmt und hoch motiviert.


Nun wird also auf der einen Seite bemängelt, dass die Quereinsteiger vor allem im Grundschulbereich wenig oder schlecht auf den Lehrberuf vorbereitet seien. Aber auch in den weiterführenden Schulen sei es in manchen Bundesländern schlecht um die Qualifizierung von Quereinsteiger*innen bestellt. Auf der anderen Seite wird vom Kultusministerium argumentiert, dass der Lehrermangel nur mit Hilfe von Quereinsteigern bewältigt werden kann. Die mediale Berichterstattung stellt hier zwei Positionen gegenüber und macht sie zu gegenüberliegenden Extremen. Dabei sollten wir das  Problem nicht verteufeln, sondern darin eine Chance sehen. Eine Chance von der die Schüler*innen profitieren können. Um die geht es ja schließlich.

Quereinstieg in den Lehrkräfteberuf als Chance sehen

Ich möchte mich hier ganz klar eine Lanze für die Quereinsteiger*innen brechen und dies kurz begründen: Schule ist ein System, dass sich seit der Industrialisierung nur wenig verändert hat. Immer wieder gibt es zwar Bestrebungen, eine Stellschraube zu drehen, um etwas zu verbessern oder eine Neuerung obendrauf zusetzen. Das gute an diesem System: es funktioniert ziemlich gut und ist wenig störanfällig. Es erhält sich auch durch die Ausbildung neuer Lehrkräfte selbst. Warum? Lehrkräfte haben alle eine Schullaufbahn durchlaufen, die traditionell überwiegend frontal mit klaren Wissensvermittlern und auf Qualifikation ausgelegt durchgeführt wurde. Das Studium verläuft ebenfalls so. Dann in Ausbildung wird ebenfalls darauf geachtet, dass die Lehrkraft genauso weitermacht wie von System seit Jahren gewünscht. Macht sie es nicht wie Hilbert Meier u.a. - oder im schlimmeren Fall die Seminarleitung es sich wünscht - es mal erdacht haben, fällt die Bewertung schlecht aus. Innovative Ideen werden aber auch schnell durch Kollegien („ach das bringt nichts, haben wir schon mal versucht“) oder Eltern, die klare Vorstellungen von Schule haben, erstickt. Oder diese Ideen werden noch oben drauf gepackt und die Bildungspläne werden erweitert und damit wird alles noch stressiger, so dass keine Zeit bleibt, weitere Ideen zu verfolgen. 


Weiter haben Lehrkräfte im Prinzip alle einen ähnlichen Lebenslauf: Abitur mit Noten im durchschnittlichen bis guten Bereich,  akademische Laufbahn ohne andere Berufserfahrungen, oft gut bürgerliches Elternhaus, nicht bildungsfern. Ich lehne mich jetzt etwas aus dem Fenster und behaupte, 90% haben keinen Migrationshintergrund.


Wir bewegen uns in Schulen also meist in einem sehr homogenen Kollegium, wenn wir die Werdegänge und sozialen Voraussetzungen betrachten. 


Hattie (2012) hat mit seinen Meta-Studien aufgezeigt, was alle im Prinzip irgendwie schon immer ahnten. Aber dadurch haben wir klare Erkenntnisse über Schule erhalten und wissen was funktionieret und wie Lernen in Schule im traditionellen Verständnis möglich und vor allem gut gemacht werden kann.  

Disruptionen passieren nicht - warum ist das heutzutage schlecht?

All das führt dazu, dass das System Schule für Disruptionen nicht anfällig ist. 


Und genau das braucht es aber jetzt! Die Digitalisierung der Gesellschaft  stellt andere Anforderungen, die mit den bisherigen traditionellen System nicht mehr adäquat zu bewältigen sind. Heißt: es braucht Disruptionen und Störungen, um auf die blinden Flecken des Systems hinzuweisen und es braucht Menschen, die mutig sind diese Flecken nicht nur aufzudecken, sondern auch daran zu arbeiten Veränderung und Innovation voranzutreiben.


Wie groß der Widerstand ist zeigt, die Diskussion um Quereinsteiger. „Bloß nicht einstellen oder wenn, dann bitte besser Ausbilden“, heißt es. „Aber eigentlich wollen wir das nicht.“ So sind manche Reaktionen.


Und hier liegt das enorme Potenzial! Quereinsteiger bringen etwas mit, dass die Lehrkraft mit überwiegend linear-akademischer Ausbildung nicht hat: Erfahrungen aus der freien Wirtschaft, Migrationshintergründe, alternative Bildungswege, Elternhäuser aus  bildungsferneren Schichten. Diese Lehrkräfte bringen damit Erfahrung in Schule, die das gut behütete System vorher nur wenig bis gar nicht hatte. Die Schüler*innen können davon nur profitieren, wenn ihnen Lehrer*innen gegenüberstehen, die Erfahrungen haben mit Bewerbungsverfahren, Assessments, von-unten-nach-oben-Arbeiten, Berufswechseln, echter Projekt- und Teamarbeit, agile Arbeitsweisen etc. 


Die andere Seite der Medaille, sie haben wenig von Didaktik und Pädagogik gehört: Ja! Daran muss gearbeitet werden! Dafür müssen Lehrkräfte zu teamplayern werden, die sich gegenseitig unterstützen. Die Quereinsteiger*innen werden damit sicherlich weniger Probleme haben, weil sie es aus der freien Wirtschaft kennen. 

Wie ist der Quereinstieg geregelt? Warum sollte man auch die grundlegende zwei-phasige Ausbildung verändern?

Die Ausbildung von Quereinsteigern ist in Bremen so organisiert, dass ein abgeschlossenes Studium verpflichtend ist. Es gibt drei Arten von Seiteneinstiegen: Seiteneinstieg A, B und U. Der Seiteneinstieg A führt zur Anerkennung eines Mangelfachs und eines zweiten Fachs aus der bisherigen Tätigkeit oder dem Studium. Bei erfolgreicher Prüfung dieser Erfordernisse werden die Seiteneinsteiger als Referendare ausgebildet. 


Für den Seiteneinstieg B bewirbt man sich auf ein Mangelfach an einer Schule. Voraussetzungen neben einem Studium sind drei Jahre Berufserfahrung, nachgewiesene pädagogische Eignung, aus den Noten des Studiums lässt sich ein zweites Fach ableiten. Bei erfolgreicher Prüfung gilt der Seiteneinsteiger als Lehrer*in in Ausbildung und ist an der Schule angestellt. Berufsbegleitend ist sie oder er 24 Monate in Seminaren mit anderen Referendaren in Ausbildung. Am Ende ist man angestellte Lehrkraft.


Für den Seiteneinstieg U benötigt man ein Studium, einjährige Berufserfahrung und eine pädagogische Eignung. Man bewirbt sich an einer Schule und wird an dieser angestellt. Begleitend zur Tätigkeit studiert man zwei Fächer und besucht die Seminare zur Ausbildung. Die Ausbildung dauert 42 Monate. Abschließend ist man angestellte Lehrkraft.


Es gibt in Bremen damit unterschiedlichste Möglichkeiten den Lehrberuf zu ergreifen. Das halte ich für absolut richtig und notwendig. Ich wäre jedoch dafür, generell schon ab dem Bachelor Lehrkräfte verstärkt in Schule einzusetzen und somit im Masterstudium viel Praxiserfahrung zu ermöglichen. Das geschieht heute schon. Allerdings ungeregelt. Student*innen werden als Vertretungskräfte eingesetzt. Leider bisher ohne Begleitung durch Ausbilder. Hier muss nachgesteuert werden. Die Ausbildung muss generell enger mit der Praxis verknüpft werden. Die zweiphasige Ausbildung muss sich verschieben. Ab Bachelorabschluss vertiefte didaktische Studien mit erhöhtem Praxisanteil und vielleicht sogar schon 4-6 eigenverantwortlichen Stunden an zwei bis drei Tagen pro Woche neben dem Studium. 

So werden Lehrkräfte praxisnah ausgebildet und sind somit schon früh im System Schule eingebunden und können den Lehrkräftemangel auffangen.


Weiter denke ich über einen Seiteneinstieg U+ nach, der kann es Menschen ermöglichen, die über eine Hochschulreife und langjährige pädagogische Erfahrung verfügen - zum Beispiel Erzieher*innen, oder Assistenzkräfte - quer einzusteigen. Im Prinzip verläuft es dann wir beim Seiteneinstieg U. So bekommen wir weitere qualifizierte Menschen unterschiedlichster Werdegänge an Schulen, die eben nicht die akademische Laufbahn eingeschlagen haben.


Die ist ein kleiner Denkanstoß, Quereinstieg als Chance zu sehen!

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